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Coole Vorstellung: endlich mal eine Videokonferenz, die Spaß macht, die einen nicht ermüdet. Sie erscheint sogar interessanter als eine klassische Präsenznummer: kein Mief, der ins Nasenbein steigt, keine wispernden Vortragenden, keine Debatte um Frischluftzufuhr. Andererseits die Vorzüge gegenüber der jetzigen Meetingwelt: keine Kacheln, kein 2 D, keine abwesend wirkenden Gesprächspartner:innen oder Kolleg:innen, die mir auch noch ins Wort fallen.
Stattdessen: Synthese und das beste beider Welten: ich bin drin, mit meinem mich repräsentierenden Avatar bin ich mitten dabei in einem gemeinsamen künstlichen Raum neben den anderen: alle voll wach, alle 1A gedressed und bester Stimmung. Man scheint sich nah zu sein. Das, was man sonst als vierte Wand bezeichnet in Film und Theater, ist durchbrochen. Eins sollte Metaverse-Sympathisant:innen vorab klar sein: ein dreidimensionales Internet mit Wirklichkeits- und Alltagsbezug wird auch die Wand von Berufs- und Privatleben endgültig einreißen.
Nur bis zum Oberkörper
Metaverse soll ein digitaler Raum sein, in dem man sich wie in einer zweiten Welt aufhält, in 3 D, sich unterhält, konferiert, Geschäfte abschließt, Freunde trifft. Die entscheidenden Mittel dazu, die das umsetzen, sind Augmented (erweiterte) und Virtual (scheinbare) Reality. Bislang funktioniert die Sache mit den Avataren aber erst mit unseren Oberkörpern.
Parallelwelten gab es schon immer. Vielleicht sind sie sogar Spiegel der Persönlichkeitsstruktur fast aller Menschen. Metaverse bedeutet Welt jenseits der analogen Welt, bringt es aufs Wort, was das Internet faktisch schon für viele Gamer, Zocker, Streamer, Onlinebroker, Networker, Twitcher, Influencer, Homeschooler, E-Learner, Home-Officer etcetera bedeutet. Und es setzt die Tradition von Second Life fort. Second Life? Ja, die US-Plattform, die vor 19 Jahren gegründet wurde und 2007 mit etwa sieben Millionen Nutzer:innen ihre kurze Blütezeit erlebte. Auch adidas, BMW, Daimler, Deutsche Post machten damals mit virtuellen Shops in dieser Welt mit. Die Avatare hatten und haben Comicfigurencharakter, sind keine digitalen Zwillinge von mir wie es jetzt im Metaverse sein soll.
11.000 Mitarbeiter:innen entlassen
2021 hat Marc Zuckerberg sein Unternehmen in Meta umbenannt, um ganz auf das Metaverse zu setzen und Markenhoheit zu erlangen. Sein Konzern investiert Milliarden wie sonst niemand. Der Durchbruch scheint zurzeit fern, vor allem die Zahlen entwickeln sich viel schlechter als erwartet. Horizon Worlds, die Plattform, die virtuelle Welten verbindet, nutzen nicht einmal 200.000 Menschen. 11.000 Mitarbeiter: innen hat Zuckerberg jetzt entlassen, 13 Prozent der gesamten Belegschaft, um die Verluste abzumildern.
Noch haben die meisten Meta-Welten ihr je eigenes Leben mit mehr oder weniger großer Relevanz: die Spiele Minecraft oder Fortnite sind da mit Sicherheit schon sehr weit vorne dabei. Die Entwicklung von Plattformen wie Decentraland und Roblox unterstreichen den Trend. Es gibt aber viele ungelöste Schwierigkeiten, um tatsächlich die Schwelle von der netten Spielidee in ein wirklichkeitsrelevantes 3 D-Internet für den Alltag zu nehmen. Der Datenschutz ist nur eine davon. Suchtpotential, Sicherheit der Nutzer:innen, Kosten (u.a. für VR-Brillen + Kopfhörer), Design, Währungsfragen und Verdienstmöglichkeiten sind weitere.
Bitkom-Umfrage
Die Skepsis unter deutschen Unternehmen ist noch groß. Der Branchenverband Bitkom hat sich jüngst umgehört und herausgekommen ist, dass zwei Dritteln der 604 befragten Betriebe (ab 20 Beschäftigte) der Praxisbezug fehlt. 45 Prozent bereiten sich andererseits schon auf die Metaverse-Zukunft vor und wollen Geld investieren. Zwei Drittel der Unternehmen halten die Entwicklung bezogen auf die Freizeit- und Game-Industrie für interessant. Bitkom-Chef Bernd Rohleder sagt: „Das Metaverse kann sich zu einem technologischen Megatrend entwickeln. Wir dürfen hier nicht an der Seitenlinie stehen und zuschauen, was unsere Wettbewerber tun. Gerade in dieser Frühphase ist der Gestaltungsspielraum besonders groß. Ihn müssen wir nutzen.“
Doch die Mehrheit der befragten Unternehmen hält Deutschland in dieser Hinsicht schon für abgeschlagen. Für Thomas Maas, Geschäftsführer der Plattform Freelancermap aus Nürnberg, gibt es andererseits kein Zurück mehr. Dafür seien schon zu viele Milliarden ausgegeben worden. Die Unternehmensberatung McKinsey sieht wahre Goldfelder im Metaverse vergraben – mit einer „Wertkreation“ für die nächsten acht Jahre von bis zu fünf Billionen Euro. Bis dahin sollen laut Zuckerberg eine Milliarde Menschen bei Horizon Worlds versammelt sein.